Fachtag zu emotional-sozialen Entwicklungsstörungen – 130 Fachkräfte arbeiten gemeinsam an Handlungsperspektiven für den Ganztag
Ganztagsschule unter Druck – und voller Potenziale
Ganztagsschulen sind für viele Kinder längst mehr als Lernorte. Sie sind Lebensräume, Beziehungsorte und soziale Übungsfelder. Gerade hier zeigen sich jedoch auch emotionale und soziale Herausforderungen besonders deutlich. Kinder und Jugendliche mit Störungen der emotionalen und sozialen Entwicklung stellen pädagogische Teams im Ganztag täglich vor komplexe Anforderungen. Wie diesen professionell begegnet werden kann, stand im Zentrum eines Fachtags in Bremen.
Am 11. November kamen rund 130 Fachkräfte im Forum des Landesinstituts für Schule zusammen. Eingeladen hatten die Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ in Bremen und der Landesverband Bremen des Ganztagsschulverbands. Die hohe Beteiligung machte deutlich, wie dringlich das Thema im schulischen Alltag wahrgenommen wird.
Multiprofessionelle Perspektiven als Stärke des Ganztags
Vertreten waren Lehrkräfte aus Grund- und weiterführenden Schulen, pädagogische Fachkräfte aus dem Ganztag, Schulsozialarbeit, Assistenzkräfte, Mitarbeitende des ReBUZ Bremen sowie Schulleitungen. Diese Vielfalt spiegelte zentrale Realität des Ganztags wider: Die Begleitung von Kindern mit emotional-sozialen Entwicklungsstörungen gelingt nur im Zusammenspiel unterschiedlicher Professionen.
Ganztagsschulen bieten hierfür besondere Chancen. Gleichzeitig erfordern sie ein gemeinsames professionelles Verständnis, abgestimmte Haltungen und klare Strukturen, um nicht selbst Teil belastender Dynamiken zu werden.
Emotionale Dynamiken verstehen statt Symptome verwalten
Im Mittelpunkt des Vormittags stand der Beitrag von Fred Ziebarth, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut mit langjähriger Praxiserfahrung. Mithilfe von Aufstellungsarbeit wurden emotionale Prozesse sichtbar gemacht, die im Alltag häufig verborgen bleiben. Die Teilnehmenden erlebten unmittelbar, wie innere Konflikte von Kindern auf pädagogische Systeme wirken können.
Deutlich wurde unter anderem:
- Primäre Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit, Scham und Trauer bilden häufig den Kern emotionaler Belastungen.
- Sekundäre Gefühle wie Ärger oder Wut dienen oft als Schutzreaktionen.
- Die Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit und Autonomie stehen in einem sensiblen Spannungsverhältnis.
- Selbstablehnung kann als zentraler Auslöser von Konflikten wirken.
- Das Modell des „Wirbelsturms“ verdeutlicht, wie Teams ungewollt in eskalierende Dynamiken hineingezogen werden.
Diese Perspektive verschiebt den Blick weg von defizitorientierten Zuschreibungen hin zu einem tieferen Verständnis innerer Prozesse.
Ganztagsschule als stabilisierender Rahmen
Gerade im Ganztag wird deutlich, wie wichtig stabile Beziehungen, verlässliche Strukturen und gemeinsame Absprachen sind. Ziebarth machte Mut: Inklusive Schule ist möglich, wenn Fachkräfte emotional-soziale Dynamiken erkennen, reflektieren und gemeinsam professionell handeln.
Der Ganztag kann dabei als stabilisierender Rahmen wirken, sofern ausreichend Zeit für Beziehungsarbeit vorhanden ist und multiprofessionelle Teams strukturell abgesichert zusammenarbeiten können.
Vom Verstehen zum Handeln
Am Nachmittag arbeiteten die Teilnehmenden in ihren Teams weiter. Ziel war es, konkrete Konsequenzen für die eigene Praxis zu entwickeln. Diskutiert wurden unter anderem folgende Leitfragen:
- Welche Bedeutung hat das neu gewonnene Verständnis für den Alltag im Ganztag?
- Welche strukturellen Voraussetzungen benötigen Schulen zur Stabilisierung betroffener Kinder?
- Welche ersten Schritte lassen sich kurzfristig umsetzen?
Die Diskussionen zeigten, dass viele Schulen bereits über hohes Engagement verfügen, jedoch gezielte Ressourcen benötigen, um nachhaltige Entwicklungsprozesse anzustoßen.
Fazit: Ganztag braucht Zeit, Struktur und Haltung
Der Fachtag machte deutlich: Die Bereitschaft, Kinder mit emotional-sozialen Entwicklungsstörungen professionell zu begleiten, ist groß. Entscheidend sind multiprofessionelle Teams, klare Kommunikationsstrukturen und ausreichend Zeit für Reflexion und Beziehungsarbeit.
Ganztagsschulen können ihrem Anspruch, allen Kindern Sicherheit, Halt und Zugehörigkeit zu bieten, nur gerecht werden, wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt sind. Perspektivisch sollen weitere Veranstaltungsformate entwickelt werden, etwa zur kollegialen Hospitation und zur vertiefenden Arbeit mit Fallbeispielen. Der Fachtag in Bremen hat dafür wichtige Impulse gesetzt.
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